Der Mathematiker, Philosoph und transdisziplinär forschende und lehrende Universalgelehrte Heinz von Foerster wurde - unter anderen vielen bedeutenden Einsichten - auch berühmt mit seiner gewiss zuspitzenden Aussage:
"Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners"
So instruktiv und herrlich respektlos diese These mit dem berühmten Begriff der Wahrheit umgeht, die nicht entdeckt, sondern erfunden wird, so ist und bleibt sie doch ein Produkt der radikal konstruktivistischen Erkenntnistheorie. In dieser Lesart entsteht die Wirklichkeit in den Köpfen, Gehirnen etc. von einzelnen Individuen. Aus der egozentrischen Perspektive scheint das richtig zu sein. Selbstverständlich kann dieser Aphorismus in vielen Lebenssituationen hervorragend genutzt werden, während denen manche Leute das eigene Zutrauen verloren haben, ihr Leben selbstbestimmt und aus eigenen kognitiven Mitteln und Beständen heraus führen zu können.
Allerdings passt die egozentrische Perspektive nicht zur Systemisches Arbeiten (Begriffsbestimmung). In dieser Erkenntnistheorie konstruieren jeweils beteiligte Systeme gemeinsam die Wirklichkeit, in der sie leben und das bedeutende Medium dabei ist die Kommunikation und Interaktion.
Aus der systemisch-konstruktivistischen Erkenntnistheorie könnte dieser Aphorismus von Heinz von Foerster umgewandelt werden in die selbstreflexive Aussage:
"Wahrheit ist die Erfindung von Leuten, Disziplinen und zugehörigen Organisationen, die vorgeblich eindeutige, richtige oder unbezweifelbare Aussagen nutzen, um ihren sozialen / gesellschaftlichen Einfluss als vermeintlich relevanten Aspekt des eigenen Fortbestandes zu sichern."
Der springende Punkt ist hier, dass der Lügner auf Andere angewiesen ist, die ihm die Wahrheit abkaufen, weil sie es nicht besser wissen können. Der Lügner und der abwechselnd ihm Hörige bilden insofern flüchtige soziale Systeme, die sich durch ihre Erwartungen wechselseitig stabilisieren. In ihrem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis gewährleisten sie füreinander die Sicherheit, sich in einer unübersichtlichen Wirklichkeit - gemessen an den eigenen Bedürfnissen und Bedarfen - zeitnah orientieren und stabilisieren zu können.