Angewiesen
Ein mächtiger Löwe legte sich einmal in den Schatten eines Baumes, weil es sehr heiß war. Er schlief gleich ein. Viele Mäuschen kamen angelaufen, als sie den König der Tiere schnarchen hörten. Da sich der Löwe nicht bewegte, sprang eine der Mäuse zwischen die Pranken des Löwen. Bald wurden auch die anderen Mäuse mutig und tanzten auf der schlafenden Großkatze herum.
Als der mächtige Löwe plötzlich erwachte, schnappte er schnell die Maus mit seiner kräftigen Pranke. Die Maus zitterte vor Angst, versuchte es aber nicht zu zeigen. „Mächtiger Löwe!“, rief sie mit einer möglichst mutig klingenden Stimme. „Verschone mich, ich bin noch zu jung zum Sterben! Wenn du mir die Freiheit gibst, werde ich dir auch einmal einen Dienst erweisen. Rufe mich, wenn du etwas brauchst!“, ergänzte sie.
Zuerst war der Löwe ganz verdutzt und mußte laut lachen. „Du, Winzling willst mir helfen? Ich bin doch viel, viel stärker und größer als du “, sagte er mit lachender Stimme. Was sollte so ein Winzling dem mächtigen Löwen bloß nützen? Der große Löwe ließ die kleine Maus laufen und legte sich wieder zum Schlafen nieder.
Nach ein paar Tagen hörte die Maus ein ganz verzweifeltes, lautes Brüllen des Löwen und kam um nachzusehen. O Schreck! Der König der Tiere war in eine Netzfalle getappt und lag traurig da. „Du hast mich gerufen“, sagte die Maus. „Und jetzt bin ich dir zu Hilfe gekommen“, ergänzte sie. „Das ist lieb von dir “, sprach der Löwe traurig. „Aber du kannst mir jetzt auch nichts nützen. Gleich kommen die Jäger und töten mich“, vollendete er.
Doch die Maus wußte, wie sie dem Löwen helfen konnte und fing an mit ihren spitzen Zähnchen am Netz zu nagen. Bald konnte der Löwe das Netz zu Ende zerreißen und war somit frei. Schließlich bedankte er sich bei der Maus und sie wurden beste Freunde.
Ambivalenz
Ein alter Indianer sitzt mit seinem Sohn am Lagerfeuer und spricht:
„Mein Sohn, in jedem von uns tobt ein Kampf zwischen 2 Wölfen. Der eine Wolf ist böse. Er kämpft mit Neid, Eifersucht, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Lügen, Überheblichkeit, Egoismus und Missgunst. Der andere Wolf ist gut. Er kämpft mit Liebe, Freude, Frieden, Hoffnung, Gelassenheit, Güte, Mitgefühl, Großzügigkeit, Dankbarkeit, Vertrauen und Wahrheit.”
Der Sohn fragt: „Und welcher der beiden Wölfe gewinnt?“
Der alte Indianer schweigt eine Weile. Dann sagt er: „Der, den du fütterst.“
Salomon - König und Richter
Zu dem Richter, dessen Weisheit sprichwörtlich war, kamen zwei Nachbarn, die miteinander im Streit lagen. Der erste trug seinen Standpunkt vor.
Der Richter hörte aufmerksam zu. und sagte zu ihm, als er alles gehört hatte: „Da hast Du recht.“ Dann hörte er den anderen, der alles ganz anders vortrug. Er hörte aufmerksam zu und sagte auch zu ihm, als er alles gehört hatte: „Da hast Du recht.“
Der Wesir, der dem aufmerksam gefolgt war, konnte nicht mehr an sich halten und sprach dem König leise ins Ohr: „Die Aussagen der beiden widersprechen sich völlig. Sie können doch überhaupt nicht beide recht haben!“
Da wandte sich der König ihm zu, lächelte und sagte: „Da hast Du recht.“
Besiegen der Angst
Wir wandern in den Bergen. Eine Kuh steht auf dem Weg. Nichts Besonderes. Die Kuh weicht aus, geht zur Seite. Nach fünfzehn Metern dreht sie sich um. Sie läuft, rennt, rast in vollem Galopp auf uns zu.
Wohin ausweichen? Es geht ums Überleben! Ich breite meine Arme wie Hörner aus und schaue ihr ins Gesicht. Entschlossen stelle ich mich ihr entgegen. Vielleicht stoppt sie das. Wenn nicht, will ich in letzter Sekunde zur Seite springen. Offenbar habe ich die Kuh überrascht. Jäh bremst sie ab, dreht sich zur Seite und trottet davon.
„Woher wusstest du, dass das funktioniert?“, fragt meine Begleiterin, entsetzt und erleichtert. „Ich habe von einem kleinen Mädchen gehört, das dasselbe gemacht hat. Bei dem hat es geklappt.“
(S.Hammel, A.Vlamynck, C. Weinspach, Ängste Überwinden, Lebensfreude finden. Die besten Interventionen aus 9 Therapierichtungen, Klett-Cotta, April 2020)
Festhalten
Anbei die Niederschrift einer Funkkommunikation an der Küste Neufundlands zwischen einem US-Kriegsschiff und kanadischen Behörden im Oktober 1995. Die Freigabe der Daten durch den Chief of Naval Operations erfolgte 10-10-95, Geheimhaltungsstufe frei.
US-Kriegsschiff: „Bitte steuern Sie 15° Nord, um eine Kollision zu vermeiden. Bitte kommen."
CDN: „Empfehle SIE steuern 15° Nord, um eine Kollision zu vermeiden. Bitte kommen."
US-Kriegsschiff: „Hier spricht der Kommandeur eines Schlachtschiffs der US Navy. Ich wiederhole, korrigieren Sie Ihren Kurs. Bitte kommen."
CDN: „Wiederhole, Sie sollten Ihren Kurs korrigieren. Bitte kommen."
US-Kriegsschiff: „Wir haben unter unserem Kommando den Flugzeugträger US Lincoln, das zweitgrößte Schiff der US-Atlantikflotte. Wir werden von drei Zerstörern, Kreuzern und verschiedenen Unterstützungsschiffen begleitet. Wir legen Ihnen dringend ans Herz, unverzüglich Ihren Kurs zu ändern, da wir ansonsten Maßnahmen zur Sicherung unseres Geleitzuges unternehmen werden."
CDN: „Hier spricht Sergeant McNeill, ich befinde mich auf einem Leuchtturm. Bitte kommen".
Erfinden
„Ein Mullah ritt auf seinem Kamel nach Medina; unterwegs sah er eine Herde von Kamelen; daneben standen drei junge Männer, die offenbar sehr traurig waren.
„Was ist euch geschehen, Freunde?“, fragte er, und der älteste antwortete: „Unser Vater ist gestorben.“ „Allah möge ihn segnen. Das tut mir leid für euch. Aber er hat euch doch sicherlich etwas hinterlassen?“ „Ja“, antwortete der junge Mann, „diese siebzehn Kamele. Das ist alles, was er hatte.“ „Dann seid doch fröhlich! Was bedrückt euch denn noch?“ „Es ist nämlich so“, fuhr der älteste Bruder fort, „sein letzter Wille war, daß ich die Hälfte seines Besitzes bekomme, mein jüngerer Bruder ein Drittel und der jüngste ein Neuntel. Wir haben schon alles versucht, um die Kamele aufzuteilen, aber es geht einfach nicht.“
„Ist das alles, was euch bekümmert, meine Freunde?“, fragte der Mullah. „Nun, dann nehmt für einen Augenblick mein Kamel, und laßt uns sehen, was passiert.“ Von den achtzehn Kamelen bekam jetzt der älteste Bruder die Hälfte, also neun Kamele; neun blieben übrig. Der mittlere Bruder bekam ein Drittel der achtzehn Kamele, also sechs; jetzt waren noch drei übrig. Und weil der jüngste Bruder ein Neuntel der Kamele bekommen sollte, also zwei, blieb ein Kamel übrig.
Es war das Kamel des Mullahs; er stieg wieder auf und ritt weiter und winkte den glücklichen Brüdern zum Abschied lachend zu."
Das 18. Kamel ist vorhanden, es ist aber auch nicht vorhanden. Die Brüder hätten das Problem auch lösen können, wenn sie das 18. Kamel lediglich als fiktives Kamel dazu gedacht, dazu „erfunden" hätten.
Erfolg
In einer abgeschiedenen ländlichen Gegend Südeuropas sitzt ein Fischer am flachen Meeresstrand und angelt mit einer alten, herkömmlichen Angelrute. Ein reicher Unternehmer, der sich einen einsamen Urlaub am Meer gönnt, kommt auf einem Spaziergang vorbei, beobachtet den Fischer eine Weile, schüttelt den Kopf und spricht ihn an. Warum er hier angle, fragt er ihn. Draußen, auf den felsigen Klippen könne er seine Ausbeute doch gewiß verdoppeln. Der Fischer guckt ihn verwundert an.
„Wozu?“, fragt er verständnislos. Na, die zusätzlichen Fische könne er doch am Markt in der nächsten Stadt verkaufen und sich von den Einnahmen eine neue Fiberglasangel und den hoch effektiven Spezialköder leisten. Damit ließe sich seine Tagesmenge an gefangenem Fisch mühelos noch einmal verdoppeln. „Und dann?“, fragt der Fischer, weiterhin verständnislos. Dann, entgegnet der ungeduldig werdende Unternehmer, könne er sich bald ein Boot kaufen, hinausfahren ins tiefe Wasser und das Zehnfache an Fischen fangen, so daß er in kurzer Zeit reich genug sein werde, sich einen modernen Hochseetrawler zu leisten! Der Unternehmer strahlt, begeistert von seiner Vision. „Ja“, sagt der Fischer „und was tue ich dann?“
Dann, schwärmt der Unternehmer, werde er bald den Fischfang an der ganzen Küste beherrschen, dann könne er eine ganze Fischfangflotte für sich arbeiten lassen. „Aha“, entgegnet der Fischer, „und was tue ich, wenn sie für mich arbeiten?“ Na, dann könne er sich den ganzen Tag lang an den flachen Strand setzen, die Sonne genießen und angeln. „Ja", sagt der Fischer, „das tue ich jetzt auch schon.“
Erwartungen
„Ein Asthmatiker wurde in seinem Bett von einem schweren Asthmaanfall überrascht. Es war dunkle Nacht, er befand sich in einem Hotel und meinte, er müßte ersticken. Er stürzte zur Tür, öffnete sie und atmete mehrfach tief durch. Die frische Luft tat ihm gut, und sein Asthmaanfall ließ bald nach. Als er am nächsten Morgen erwachte, stellte er fest, daß er nicht die Tür des Zimmers geöffnet hatte, sondern lediglich die Tür des Kleiderschrankes.“
(Peseschkian)
Ethos
Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand. Nachdem das Unwetter langsam nachließ, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand lagen aber unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen waren. Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die Hand und warf sie zurück ins Meer.
Da kam ein Mann vorbei. Er ging zu dem Jungen und sagte: „Du dummer Junge! Was du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, daß der ganze Strand voll von Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert nicht das Geringste!”Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte er: „Für ihn wird es etwas ändern!”
(Porter. Entdecke dein Gehirn. Bewußtseins-Technologien für das 21. Jahrhundert)
Geduld
Der tibetische Meister Atisha, ein bedeutender Reformer des Buddhismus, lebte etwa 900 m. Chr. Er hatte einen indischen Diener, der sich ihn immer gegenüber sehr respektlos und verächtlich verhielt. An allem hatte er etwas auszusetzen. Mit seiner unablässigen Nörgelei machter er den anderen Schülern Atishas das Leben schwer.
Deshalb sagten sie zu ihrem Meister: „Schick ihn doch weg, entlasse ihn, er ist für dich und für uns nur ein Quälgeist!“ Atisha antwortete: „Sagt das nicht! Ich bin froh, daß sich dieser Mann als Objekt für meine Geduldsübungen zur Verfügung stellt. Wie sollte ich diese Vollkommenheit üben, wenn ich ihn nicht hätte?“
Glauben
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein, oft sind sie alt und häßlich und klein, die Engel.
Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand, die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand, oder er wohnt neben dir, Wand an Wand, der Engel.
Dem Hungernden hat er das Brot gebracht, der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht, und er hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht, der Engel.
Er steht im Weg und er sagt: Nein, der Engel, groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein – es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel.
(Rudolf Otto Wiemer)
Kontext
Zwei Priester, ein Dominikaner und ein Jesuit, streiten darüber, ob es eigentlich Sünde sei, gleichzeitig zu rauchen und zu beten. Weil sie sich nicht einig werden können, beschließen sie, ihren jeweiligen Prior zu fragen.Ein paar Tage später treffen sie sich wieder. Der Dominikaner fragt: „Na, was hat Dein Prior gesagt?“ Der Jesuit antwortet: „Er sagt, das sei schon in Ordnung, es sei keine Sünde, beides gleichzeitig zu tun“.„Das ist ja lustig“, antwortet der Dominikaner. „Mein Prior sagt, gleichzeitig rauchen und beten sei natürlich eine Sünde“. Der Jesuit: „Was hast Du ihn denn gefragt?“ Der Dominikaner antwortet: „Ich fragte meinen Prior, ob man beim Beten rauchen darf“.„Nun“, sagt der Jesuit, „meinen Prior habe ich gefragt, ob man beim Rauchen beten darf“.Quelle: Porst, Rolf (2008): Fragebogen. Ein Arbeitsbuch. Wiesbaden: VS, S. 12Kreativität
„Es begab sich zu einer Zeit, als die Menschen wegen Schulden noch im Kerker bei Wasser und Brot schmachten mussten. Ein Händler in Köln hatte das Unglück, einem Geldverleiher einer großen Summe des Geldes zu schulden. Das Schiff mit den Waren, die er im Morgenland bestellt hatte, war verschollen, und nun wußte er nicht, wie er die Schulden zurückzahlen sollte.
Der Geldverleiher, ein häßlicher Kerl, wollte die Tochter des Händlers zu seiner Gemahlin machen. Er unterbreitete dem Händler folgenden Vorschlag: Er erließe ihm alle Schulden, würde ihm dieser seine schöne junge Tochter zur Frau geben.
Da Vater und Tochter ob dieses Vorschlages entsetzt waren, schlug der Geldverleiher vor, die Vorsehung entscheiden zu lassen. Er sagte, er würde in einen Beutel einen schwarzen und einen weißen Kieselstein legen. Die Tochter müße in den Beutel greifen und einen Stein herausnehmen. Wenn sie den schwarzen Stein ziehen würde, müßte sie seine Frau werden und dem Vater seien alle Schulden getilgt. Ziehe sie den weißen Stein, sei sie frei, und dem Vater würden ebenfalls alle Schulden erlassen. Würde sie sich jedoch weigern, müßte der Vater im Gefängnis bei Waßer und Brot darben.
Die beiden willigten ein, denn es schien keinen anderen Ausweg zu geben. Während sie sich im Garten des Geldverleihers unterhielten, bückte sich der Verleiher und hob zwei Kieselsteine auf. Die Tochter beobachtete ihn ängstlich und sah, daß er zwei schwarze Steine in den Beutel tat. Dann bat er das Mädchen, den Stein zu ziehen, der über ihr und das Schicksal ihres Vaters entscheiden würde.
Die Tochter steckte ihre Hand in den Beutel und zog einen Stein heraus. Ohne ihn zu zeigen, ließ sie ihn sofort auf den Boden fallen, wo er zwischen all den anderen schwarzen und weißen Kieselsteinen verschwand. ‚Oh, wie ungeschickt von mir’, sagte sie. ‚Aber eigentlich macht das ja nichts, denn wir brauchen ja nur in den Beutel zu schauen, um zu sehen, welcher Stein übrig ist.’ Da der Stein, der sich noch im Beutel befindet, schwarz ist, muß angenommen werden, daß derjenige, den sie gezogen und fallen gelassen hat, weiß war. Der Geldverleiher muß dem zustimmen, denn ansonsten müßte er seinen Betrugsversuch zugeben.“
(Quelle Edward de Bono)
Lernen
Eines Tages kam eine Schülerin zum Meister. Sie hatte schon so viel von dem weisen Mann gehört, daß sie unbedingt bei ihm studieren wollte. Sie hatte alle Angelegenheiten geregelt, ihr Bündel geschnürt und war den Berg hinauf gekommen, was sie zwei Tage Fußmarsch gekostet hatte.
Als die junge Frau beim Meister ankam, saß der im Lotussitz auf dem Boden und trank Tee. Sie begrüßte ihn überschwänglich und erzählte ihm, was sie schon alles gelernt hatte. Dann bat sie ihn, bei ihm weiterlernen zu dürfen. Der Meister lächelte freundlich und sagte: „Komm in einem Monat wieder.“
Von dieser Antwort verwirrt ging die junge Frau zurück ins Tal. Sie diskutierte mit Freunden und Bekannten darüber, warum der Meister sie wohl zurückgeschickt hatte. Einen Monat später erklomm sie den Berg erneut und kam zum Meister, der wieder Tee trinkend am Boden saß. Diesmal erzählte die Schülerin von all den Hypothesen und Vermutungen, die sie und ihre Freunde darüber hatten, warum er sie wohl fortgeschickt hatte. Und wieder bat sie ihn, bei ihm lernen zu dürfen. Der Meister lächelte sie freundlich an und sagte: „Komm in einem Monat wieder.“
Dieses Spiel wiederholte sich einige Male. Es war also nach vielen vergeblichen Versuchen, daß sich die junge Frau erneut aufmachte, um zu dem Meister zu gehen. Als sie diesmal beim Meister ankam und ihn wieder Tee trinkend vorfand, setzte sie sich ihm gegenüber, lächelte und sagte nichts. Nach einer Weile ging der Meister in seine Behausung und kam mit einer Taße zurück.
Er schenkte ihr Tee ein und sagte dabei: „Jetzt kannst du hier bleiben, damit ich dich lehren kann. In ein volles Gefäß kann ich nichts füllen.“
Loslassen
Ein Prinz, der voller Leidenschaft für außergewöhnliche Dinge war, ließ eines Tages all seine Berater zu sich rufen. "Ich träumte von einem Ring", erzählte er, "der die Fähigkeit hatte, mich fröhlich zu stimmen, wenn ich traurig war, aber er machte mich auch ein wenig traurig, wenn ich fröhlich war." Und er verlangte, daß man ihm solch einen Ring herstellte. Weder die Berater noch die Minister oder der Juwelier wußten, wie man dies anstellen sollte. So rief man den Meister der Weisheit. Dieser nahm einen einfachen Goldring und ließ folgende Worte eingravieren: "Alles geht vorbei."
Peseschkian
Reisaffen sind poßierlich, kleine Tiere aus China, die die Menschen immer fangen wollten. Los waren die viel listiger und schlauer und waren schon auf den Bäumen, bevor sie gefangen wurden.
Bis ein älterer Chinese einen schlauen Einfall hatte: er sammelte Kokosnüße und Schnitt ein kleines Loch hinein. So groß, daß die Hand eines Affen gerade hineinpaßte, und erfüllte sie mit Reis und legte die Kokosnüße aus und versteckte sich in der Nähe hinter einem Busch.
Und es dauerte nicht lange, bis der erste Affe ankam und seine Hand in den Nuß steckte, um an den Reis zukommen. Und dann merkte er, daß er seine faustvoller Reis nicht mehr aus der Nuß heraus bekam, weil er den Reis behalten wollte.
Baßmann und Wester (1984)
Mohini war ein echter weißer Tiger, der viele Jahre im Nationalen Zoo in Washington D.C. lebte. Viele Jahre lang war sein Zuhause in dem alten Raubtierhaus – ein vier-mal-vier Meter Käfig mit Eisenstangen und Zementboden.
Mohini verbrachte seine Tage damit, unruhig in seinem beengten Raum hin und her zu schreiten. Später entwickelten Biologen und Zoo-Mitarbeiter eine möglichst natürliche Umgebung für ihn, die sehr weit und geräumig war und Hügel, Bäume, einen Teich und eine Vielfalt von Pflanzen enthielt.
Aufgeregt und voller freudiger Erwartungen ließen sie Mohini in seine neue ausgedehnte Lebenswelt frei. Aber es war zu spät. Der Tiger suchte sofort den Schutz einer Ecke des Geländes, wo sie den Rest ihres Lebens verbrachte. Mohini schritt immer wieder hin und her in einer Ecke von vier-mal-vier Metern.
Tara Brach (aus „Radical Acceptance“, Übersetzung Norbert Schneider).
Ein Schüler kam zu seinem Meister und fragte ihn: „Wie kann ich mich von dem, was mich an die Vergangenheit bindet, lösen?“
Da stand der Meister auf und ging zu einem Baumstumpf, umklammerte ihn und jammerte: „Was kann ich tun, damit dieser Baum mich losläßt?“
Verf. unbekannt
Ein Mann – so wird erzählt – fing sich im Wald einen jungen Adler. Er nahm ihn mit nach Hause und steckte ihn zu seinen Hühnern in den Hühnerstall. Er gab ihm Hühnerfutter zu freßen, obwohl er doch ein Adler war, der König der Vögel, der König der Lüfte! Nach fünf Jahren kam einmal ein anderer Mann zu Besuch, der verstand etwas von Naturkunde. Dem fiel der Adler auf und er sagte: "Der Vogel dort ist kein Huhn, sondern ein Adler.“
„Ja“, sagte der Mann, "das stimmt. Aber ich habe ihn zu einem Huhn erzogen. Er ist jetzt kein Adler mehr, sondern ein Huhn.“ "Nein“, sagte der andere, "er ist noch immer ein Adler, denn er hat das Herz eines Adlers und das wird ihn hoch hinauf fliegen laßen in die Lüfte“.
„Nein, nein“, sagte der Mann, "er ist jetzt ein richtiges Huhn geworden und wird niemals mehr wie ein Adler fliegen“.
Darauf beschloßen sie, eine Probe zu machen. Der vogelkundige Mann nahm den Adler, hob ihn in die Höhe und sagte beschwörend: "Der du ein Adler bist, der du dem Himmel gehörst und nicht dieser Erde, breite deine Schwingen aus und fliege!“ Der Adler auf der hoch gestreckten Faust blickte sich um. Hinter sich sah er die Hühner nach ihren Körnern picken und er sprang zu ihnen hinunter und pickte mit.
Der naturkundige Mann gab aber noch nicht auf. Am nächsten Tag stieg er mit dem Adler am Arm auf das Dach des Hauses, hob ihn empor und sagte: "Adler, der du ein Adler bist, breite deine Schwingen aus und fliege!“ Aber als der Adler wieder die scharrenden Hühner im Hof erblickte, sprang er zu ihnen hinunter und scharrte mit. Da sagte der Mann: "Ich habe es dir ja gesagt, er ist ein Huhn und er bleibt ein Huhn.“
„Nein“, sagte der andere, "Er ist ein Adler und er hat noch immer das Herz eines Adlers. Laß es uns noch ein einziges Mal versuchen. Morgen werde ich ihn fliegen laßen.“
Am nächsten Morgen ging er mit dem Adler vor die Stadt auf einen hohen Berg. Er hob den Adler empor und sagt zu ihm: "Adler, du bist ein Adler. Du gehörst dem Himmel, nicht dieser Erde. Breite deine Schwingen aus und fliege!“ Der Adler zitterte, aber er flog nicht. Da ließ ihn der naturkundige Mann direkt in die Sonne schauen und plötzlich breitete der Adler seine Schwingen aus, erhob sich mit dem Schrei eines Adlers in die Luft und kehrte nie wieder zurück.
Verf. unbekannt
Zwei Mönche überqueren auf ihrer Wanderung einen Fluss. Am Ufer wartet eine schöne Jungfrau. Auch sie will ans andere Ufer, aber wagt es nicht, ins Wasser zu gehen. Kurz entschlossen nimmt der eine Mönch sie auf seine Schulter und trägt sie hinüber. Der andere ist wütend, sagt aber nichts. Ständig bohrt in ihm die Frage: „Wie konnte er das tun - als Mönch - eine Frau anzurühren? Und gar tragen? Kennt er nicht die Mönchsgebote?“ Tagelang bewegt er seinen Zorn im Herzen. Am Grunde des Zorns aber ist rasender Neid.
Schließlich erreichen die beiden ihr Ziel - das Kloster ihres Meisters. Der eifersüchtige Mönch kann es kaum erwarten, dem Meister zu berichten, dass der andere eine junge Frau über den Fluss getragen hat. Der Meister antwortet: „Er hat sie am anderen Ufer abgesetzt, du aber trägst sie noch immer.“
(Quelle: „Lehrbuch der Logotherapie“ vonb Elisabeth Lukas)
Mitteilen
Die drei Siebe
Eines Tages kam ein Bekannter zum griechischen Philosophen Sokrates gelaufen. „Höre, Sokrates, ich muß dir berichten, wie dein Freund....“
„Halt ein“ unterbrach ihn der Philosoph. „Hast du das, was du mir sagen willst, durch drei Siebe geschüttet?“ „Drei Siebe? Welche?“ fragte der andere verwundert.
„Ja! Drei Siebe! Das erste ist das Sieb der Wahrheit. Hast du das, was du mir berichten willst, geprüft ob es auch wahr ist?“ „Nein, ich hörte es erzählen, und...“ „Nun, so hast du sicher mit dem zweiten Sieb, dem Sieb der Güte, geprüft. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es schon nicht wahr ist - wenigstens gut?“ Der andere zögerte. „Nein, das ist es eigentlich nicht. Im Gegenteil.....“
„Nun“, unterbrach ihn Sokrates. „so wollen wir noch das dritte Sieb nehmen und uns fragen ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so zu erregen scheint.“ „Notwendig gerade nicht....“
„Also“, lächelte der Weise, „wenn das, was du mir eben sagen wolltest, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste weder dich noch mich damit.“
(Unbekannte Quelle)
Nichtwissen
Glück oder Unglück, wer weiß das schon...? - Eines Tages lief einem armen alten Bauern sein einziges Pferd davon und kam nicht mehr zurück. Da hatten die Nachbarn großes Mitleid mit dem Bauern und sagten: „Du Ärmster! Dein Pferd ist Dir weggelaufen - welch ein Unglück!“
Der Bauer aber antwortete ruhig: „Glück oder Unglück, wer weiß das schon...?“ - Und tatsächlich kehrte nach einigen Tagen das Pferd zurück und brachte ein Wildpferd mit. Jetzt sagten die Nachbarn: „Ha, erst läuft dir das Pferd weg - dann bringt es noch ein zweites mit! Was hast du bloß für ein Glück!“ Der Bauer schüttelte den Kopf und sagte: „Glück oder Unglück, wer weiß das schon...?“ Das Wildpferd wurde vom ältesten Sohn des Bauern eingeritten; dabei stürzte er unglücklich und brach sich ein Bein. Die Nachbarn eilten herbei und klagten: „Welch ein Unglück!“
Aber der Bauer gab zur Antwort: „Glück oder Unglück, wer weiß das schon...?“ Kurz darauf kamen die Soldaten des Königs und zogen alle jungen Männer des Dorfes für den Kriegsdienst ein. Den ältesten Sohn des Bauern ließen sie zurück – denn wegen seinem gebrochenen Bein, war er ihnen nicht von Nutzen... Da riefen die Nachbarn: „Was für ein Glück! Dein Sohn wurde als einziger nicht eingezogen!“
Fazit: Glück und Unglück wohnen stets eng beisammen, wer weiß schon immer sofort, ob ein Unglück nicht doch ein Glück ist?
Christian Morgenstern (1871-1914)
Perspektive
Im Fach Sozialwissenschaften hielt der Professor ein schwarzes Buch hoch und sagte: „Dieses Buch ist rot!“ - Die ganze Klasse protestierte einstimmig und rief: „Nein!“ Der Professor seinerseits beharrte darauf und sagte: „Doch, ist es!“
Und die Klasse wiederholte lautstark: „Nein, das ist nicht richtig!“ Er drehte das Buch um und die Rückseite war rot. Der Professor blickt ein die beschämten Gesichter seiner Schüler und meinte: „Sage niemals jemanden, er liege falsch, solange Du die Dinge nicht aus seiner Perspektive gesehen hast.“
Relativität
Die längere Schnur
Eines Tages spannte ein indischer König namens Akbar eine gerade Schnur auf dem Boden auf und verlangte von seinen Ministern: „Schneidet diese Schnur nicht ab, verknotet sie nicht, doch verkürzt sie auf eine andere Art und Weise!“ Da wunderten sich alle, wie die Schur verkürzt werden könnte, ohne abgeschnitten oder verknotet zu werden. Schließlich stand einer seiner weisesten Leute auf und spannte eine längere Schnur daneben. Durch diese zweite, längere Schnur wurde die erste automatisch verkürzt. Sie war nicht verknotet, nicht abgeschnitten und dennoch verkürzt worden.
(Quelle unbekannt)
Selbstwert
„Meister, ich bin zu dir gekommen, weil ich mich so wertlos fühle. Meister, alles was ich anstelle, mache ich falsch, ich bin so ungeschickt. Meister, was kann ich tun, damit die Leute eine höhere Meinung von mir haben? Meister, wie kann ich ein besserer und ein erfolgreicher Mensch werden?“
Der weise Alte sieht ihn gar nicht an, er ist sehr beschäftigt und scheinbar mürrisch meint er, dass er selbst Hilfe bei einem Problem braucht und bevor das Problem nicht gelöst ist, könne er dem jungen Mann nicht helfen. Schließlich allerdings hält er kurz inne und meint, es wäre ja gut, wenn der junge Mann ihm zuerst bei seinem Problem helfen würde, dann könne er sich ganz und gar ihm widmen. Der junge Mann willigt ein und so erklärt ihm der Meister: „Ich habe hier einen Ring, den muss ich verkaufen. Ich habe bei jemandem eine Schuld zu begleichen und dieser Ring soll dazu dienen. Nimm also bitte mein Pferd aus dem Stall und reite auf den Markt und verkaufe für mich diesen Ring. Aber gib acht, daß du ihn nicht für weniger als ein Goldstück verkaufst. Das ist der Preis, den ich brauche.“
Der junge Mann reitet los und bietet den Ring auf dem Markt verschiedenen Händlern an. Manche scheinen interessiert, aber keiner ist bereit, den Preis von einem Goldstück zu bezahlen. Einige lachten, als sie davon hörten. Andere wandten sich einfach wortlos und bitter ab. Ein dritter erklärte dem jungen Mann höflich, daß ein Goldstück viel zu wertvoll sei, es gegen diesen Ring einzutauschen. Er bot ihm ein Silberstück an, aber der Junge hatte ja Anweisung, mit nicht weniger als einem Goldstück zurück zu kehren.
Niedergeschlagen, vor allem weil er sich jetzt um die Hilfe des Meisters bei seinem eigenen Problem gebracht sah, kehrte er zurück: „Meister, es tut mir leid. Das, worum du mich gebeten hast, kann ich unmöglich leisten. Vielleicht hätte ich zwei oder drei Silberlinge für den Ring bekommen können. Es ist mir jedoch nicht gelungen, jemanden über den wahren Wert des Ringes hinwegzutäuschen.“
„Was du sagst, ist sehr wichtig, mein junger Freund“, antworte der Meister mit einem Lächeln. „wir müssen zuerst den wahren Wert des Rings in Erfahrung bringen. Steig wieder auf das Pferd und reite noch einmal in die Stadt. Aber nicht auf den Markt, sondern zum Goldschmied. Wer könnte den wahren Wert des Ringes besser einschätzen als er? Sag ihm, daß ich den Ring verkaufen möchte und frag ihn, wie viel er dir dafür geben möchte. Aber was immer er dir auch bietet: Du verkaufst ihn noch nicht. Kehr erst mit dem Ring zu mir zurück.“ Der Junge machte sich also erneut auf den Weg – zu dem Goldschmied.
Dieser untersuchte den Ring im Schein einer Lampe, er besah sich den Stein durch eine Lupe, er wog den Stein und polierte ihn anschließend noch einmal, bevor er ihn erneut eingehend betrachtete: „Mein Junge, richte deinem Herrn aus, wenn er ihn gleich verkaufen will, kann ich ihm nicht mehr als 58 Goldstücke für seinen Ring geben. Mit etwas Geduld sind jedoch bis zu 70 Goldstücke dafür zu bekommen, aber bei einem Notverkauf…“
Der junge Mann eilte zu dem weisen Mann zurück und berichtete aufgeregt von dieser Antwort. Der Alte lächelte und bat ihn: „Setz dich und sieh, das ist auch die Antwort auf deine Frage: Du bist wie dieser Ring – ein Schmuckstück, kostbar und einzigartig. Und genau wie bei diesem Ring kann nicht jeder deinen wahren Wert erkennen. Nur ein Fachmann ist dazu in der Lage. Warum irrst du also durch dein Leben und erwartest, daß jeder X-beliebige um deinen Wert weiß?“ - Und noch während er dies sagte, streifte sich der alte Mann den Ring wieder über den Finger seiner linken Hand.
Sterben
Die Insel der Stille
Ich lade dich ein, erst einmal ganz tief ein- und auszuatmen… und noch tiefer auszuatmen… alles raus zu pusten, was du loswerden willst…… dann stell dir vor deinem inneren Auge – einfach so – eine Landschaft vor… Vielleicht stehst du direkt auf einer Wiese… oder auf einem Weg… vielleicht auch auf einem Feld, bist im Wald… am Meer… oder etwas ganz anderem…Nun finde einmal deinen Weg… deinen ganz eigenen Weg… den keiner kennt außer dir… Schritt für Schritt im richtigen Tempo… vielleicht vorbei an Bäumen und Feldern… Bergen oder Strand… hin zu einem ganz besonderen Platz… gut geschützt und doch ganz weit… mit einem tollen Blick auf das Meer.
Doch der Weg dorthin dauert einen Moment… auch wenn du schon weißt, wie dieser Ort aussieht… und immer wieder spürst du unterwegs… mit jedem Atemzug… mal mehr und mal weniger… vielleicht auch irgendwann gar nicht mehr… diesen Druck auf deinen Schultern…
Dann spürst du wieder den Rucksack, den du auf deinem Rücken trägst… weißt nicht, wann du ihn aufgesetzt hast… egal, kannst dich vielleicht gar nicht erinnern… doch ist er manchmal sehr schwer… drückt dich runter… zerrt an deinen Schultern… wird schwerer mit jedem Schritt…
Du kannst auf deinem Weg überall anhalten… Rast machen und den Rucksack kurz absetzen… und all das auspacken, was gar nicht dir gehört… … da sind Steine und andere Dinge drin, was du vielleicht selbst gar nicht eingepackt hast… und du kannst JETZT allen Ballast abladen… die Steine und all das, was nicht dir gehört… an den Wegesrand legen…
Mit jedem Schritt wird es dann leichter auf deinen Schultern… kannst wieder aufrechter gehen… freier… besser atmen… es wird immer leichter… und du findest… in eigenem Tempo… deinen besonderen Platz… mit Blick aufs Meer… wo du es dir bequem machen kannst… hinsetzen… und ganz entspannt aufs Meer schauen… siehst die Wellen, mal höher und mal sanfter… die Wolken… ziehen… riechst das Meer… spürst den Wind… oder die Windstille… die Temperatur… und bist ganz bei dir… …
Du weißt, da draußen ist irgendwo eine Insel… die Insel der Stille… wo es ganz friedlich ist… ungestört… ruhig… diese angenehme Stille… … wo man alles loslassen kann… ganz frei ist ohne Kampf… ohne Schmerz… leicht und fröhlich… befreit von allem Druck…
In Gedanken fliegst du immer mal… dann, wenn du es magst… einfach mit einer Wolke hin… schon mal aus der Ferne anschauen… wie sie aussieht, die Insel der Stille… siehst, wie ruhig es dort zugeht…. so friedlich mit der genau richtigen Stille… die auch fröhlich sein kann… die für dich ganz persönlich den genau richtigen Platz hat… frei… befreit… und kannst davon träumen… …Und irgendwann darfst du entscheiden… wann du endgültig zur Insel der Stille reisen möchtest… ob auf einer Wolke… oder mit einem Adler… der dich in einem tollen Flug dorthin trägt… mit einem wunderbaren Blick ins Weite… frei wie ein Vogel… oder vielleicht lieber mit einem Schiff, das nur dich übersetzt… du als Kapitän des Schiffes… oder nur mit Gedankenkraft springst du… auf die Insel der Stille… einfach so… und du darfst entscheiden… wann du dort bleiben möchtest… … um dort die ewige Ruhe zu finden… deiner Seele freien Lauf zu lassen… … im genau richtigen Moment… loslassen…
Dort kann es dir gut gehen… befreit… der Körper findet seine Ruhe… ewig… während die Seele frei… sein kann… einen guten Platz findet… wie auch immer der für dich aussehen mag…Nur du entscheidest immer wieder neu… lieber den Weg zurück zu gehen…zurück in deine Landschaft… Schritt für Schritt in deinem Tempo… den Rucksack mehr und mehr entlastet… nimmst jedes Mal ein bisschen mit, von der Freiheit… die du gesehen hast… dem Blick aufs Meer…
Wenn du diese Worte hörst… kannst du an deinem Platz mit Blick aufs Meer sitzen bleiben… vielleicht einschlafen… kannst aber auch zurückkommen… in deinem Tempo … ins Hier und Jetzt… die Bilder wieder auflösen… und die Entspannung mitnehmen… oder… irgendwann… zur Insel reisen… Mach es genau so, wie es jetzt für dich gerade stimmig ist… …
(von Sabine Fruth, Amöneburg)
Das Märchen von der traurigen Traurigkeit
Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen. "Wer bist du?" fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. "Ich ... ich bin die Traurigkeit", flüsterte eine Stimme so leise, dass die kleine Frau Mühe hatte, sie zu verstehen.
"Ach, die Traurigkeit", rief sie erfreut aus, fast als würde sie eine alte Bekannte begrüßen. "Kennst du mich denn", fragte die Traurigkeit misstrauisch. "Natürlich kenne ich dich", antwortete die alte Frau, "immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet."
"Ja, aber ..." argwöhnte die Traurigkeit, "warum flüchtest du nicht vor mir, hast du denn keine Angst?" - "Oh, warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selber nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst und dich so nicht vertreiben lässt. Aber, was ich dich fragen will, du siehst - verzeih diese absurde Feststellung - du siehst so traurig aus?"
"Ich ... ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme. Die kleine alte Frau setzte sich jetzt auch an den Straßenrand. "So, traurig bist du", wiederholte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. "Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert bist?" Die Traurigkeit seufzte tief auf. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie vergebens versucht und ...
"Ach, weißt du", begann sie zögernd und tief verwundert, "es ist so, dass mich offensichtlich niemand mag. Es ist meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und eine Zeitlang bei ihnen zu verweilen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Aber fast alle reagieren so, als wäre ich die Pest. Sie haben so viele Mechanismen für sich entwickelt, meine Anwesenheit zu leugnen."
"Da hast du sicher Recht", warf die alte Frau ein. "Aber erzähle mir ein wenig davon." Die Traurigkeit fuhr fort: "Sie haben Sätze erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll. Sie sagen "Papperlapapp - das Leben ist heiter", und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und Atemnot. Sie sagen "Gelobt sei, was hart macht", und dann haben sie Herzschmerzen. Sie sagen "Man muss sich nur zusammenreißen" und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen "Weinen ist nur für Schwächlinge", und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht spüren müssen."
"Oh ja", bestätigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen ja mit deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?" Die Traurigkeit kroch noch ein wenig mehr in sich zusammen.
"Ja, das will ich", sagte sie schlicht, "aber helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich selbst zu begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen können, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, ist ganz dünnhäutig und damit nahe bei sich. Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht verheilte Wunde. Aber nur, wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die Chance, dass seine Wunden wirklich heilen. Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus Bitterkeit."
Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war tief und verzweifelt.
Die kleine alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. "Wie weich und sanft sie sich anfühlt", dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. "Weine nur, Traurigkeit", flüsterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich weiß, dass dich viele Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon einige bereit sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die begreifen, dass du ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die Mutlosigkeit keine Macht gewinnt."
Die Traurigkeit hatte aufgehört zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin. "Aber jetzt sage mir, wer bist du eigentlich?"
"Ich", antwortete die kleine alte Frau und lächelte still. "Ich bin die Hoffnung!"
© Inge Wuthe
Suchen
Der Mullah hatte einen Schlüssel verloren und lief nachts ständig um die Lampe auf der Straße herum. Ein Mann fragte ihn: „Was machst Du da?“ Der Mullah sagte: „Ich suche meinen Schlüssel“. Der Mann half beim Suchen. Nach einer Zeit fragte er: „Mullah, wo hast Du den Schlüssel verloren?“ „Im Haus!“ „Warum suchst Du denn dann hier?“ „Du mußt zugeben, hier ist es wenigstens hell!“
z.n. Dirk Revenstorf
Umdeuten
Es war einmal ein Wettrennen der Frösche. Sie sollten die Spitze eines hohen Turms erreichen. Viele Leute versammelten sich, um zuzuschauen und sie zu unterstützen. Das Rennen begann. Die Leute glaubten nicht, daß die Frösche fähig wären, den Gipfel zu erreichen. Sie brüllten: »Was für eine Strapaze! Sie werden niemals oben ankommen!« Die Frösche wurden mutlos, außer einem, der weiterkletterte. Die Leute brüllten wieder: »Was für eine Strapaze! Sie werden niemals oben ankommen!« Alle Frösche gaben auf.
Alle, außer dem kleinen Frosch, der nicht aufhörte zu klettern. Allein, um den Preis einer riesigen Kraftanstrengung, erreichte er die Turmspitze. Als der kleine Frosch zu den anderen Fröschen hinunterkam, näherte sich einer, um ihn zu fragen, wie er es geschafft hätte, das Rennen zu Ende zu bringen. Er entdeckte, daß der kleine Frosch taub war!
Verf. unbekannt
Umwelt beobachten
Fall 1:
Man nehme eine Wasserschale, fülle diese mit Wasser und erwärme das Wasser so lange, bis dieses zu kochen beginnt. Nun nehme man einen Frosch und animiere diesen, in das kochende Wasser zu springen. Wie zu erwarten ist, wird der Frosch versuchen, so schnell wie möglich aus der Wasserschale zu springen, spürt er doch unmittelbar und in aller Deutlichkeit, daß Leib und Leben gefährdet sind.
Fall 2:
Man nehme erneut eine Wasserschale und fülle diese abermals mit Wasser. Nun befördere man den Frosch in das lauwarme Wasser. Während der Frosch in der Wasserschale verharrt, erhöht man nun sukzessive die Wassertemperatur, bis sich diese dem Siedepunkt nähert. Was passiert? Überraschenderweise gar nichts! Anstatt fluchtartig mit einem Sprung das nahezu kochende Wasser zu verlassen, gibt der Frosch alle Anzeichen des Wohlgefühls von sich. Das tragische Ende der Geschichte: Der Frosch beginnt bei lebendigem Leibe zu kochen, ohne es auch nur zu merken.
z.n. Dirk Baecker
Vermitteln
Ein Rabbi hält in seinem Wohnzimmer regelmäßig als Dorfrichter Gerichtssitzungen ab. Eines Vormittags kommt ein höchst erregter Dorfbewohner und schildert die Untaten eines seiner Nachbarn. Der Rabbi hört sich alles an und sagt am Ende: „Da hast Du aber Recht."
Kaum zwei Stunden später taucht der Nachbar auf. Er schildert in allen Einzelheiten, was sich der andere alles hat zuschulden kommen lassen. Der Rabbi hört wiederum aufmerksam zu und sagt schließlich: „Da hast Du aber Recht."
Die Frau des Rabbi, die aus der Küche das Geschehen mitverfolgt hat, betritt das Wohnzimmer und stellt ihren Mann zur Rede: „Sag mal, bist Du eigentlich noch bei Trost. Erst kommt die eine Seite, und Du sagst: ,Da hast Du aber Recht.' Kurz darauf kommt die Gegenseite, und auch da sagst Du: ,Da hast Du aber Recht.' So geht das doch nicht! Das kannst Du doch im Ernst nicht machen!"
Der Rabbi denkt eine Weile nach und sagt: „Da hast Du aber Recht."
z.n. Bernhard Trenkle
Wählen
Ein Airbus 380 ist auf dem Weg über den Atlantik. Er fliegt konstant bei 800 km/h in 30.000 ft., als plötzlich ein Eurofighter-Jet auftaucht. Der Pilot des Kampfflugzeugs verlangsamt sich, fliegt am Airbus entlang und begrüßt den Piloten des Passagierflugzeugs per Funk: „Airbus-Flug, ein langweiliger Flug, nicht wahr? Passt auf und schaut her" Er rollt seinen Jet auf den Rücken, beschleunigt, durchbricht die Schallmauer, steigt schnell auf die Höhe, nur um sich fast auf Meereshöhe zu begeben. Er fliegt schlendernd neben den Airbus zurück und fragt: „Nun, wie war das?"
Der Airbus-Pilot antwortet: „Sehr beeindruckend, aber jetzt schau mal hier!" Der Jet-Pilot beobachtet den Airbus, aber es passiert nichts. Er fliegt weiterhin hartnäckig geradeaus, mit gleicher Geschwindigkeit. Nach 5 Minuten funkte der Airbus-Pilot: „Nun, was sagst du jetzt?" fragt der Jet-Pilot verwirrt: „Was hast du getan?“ Der andere lacht und sagt: „Ich stand auf, streckte mich an den Beinen aus, ging zur Rückseite des Flugzeugs in die Bordküche, holte eine Tasse Kaffee und einen Zimtkuchen.
(Adel Reyhani)
Wandel
Wir leben in einer Vierzimmerwohnung, von einem Zimmer führt eine Tür ins nächste Zimmer. 1. Das Zimmer der Zufriedenheit, 2. Das Zimmer der Verleugnung, 3. Das Zimmer der Verwirrung oder des Chaos, 4. Das Zimmer der Erneuerung (das man mit dem Loslassen gleichsetzen könnte) - und von da mündet die Türe wieder ins Zimmer der Zufriedenheit.
Manchmal läuft man an einem Tag durch alle vier Zimmer...
Wissen
Schatz des Wissens
Der Traktor eines Bauern lief nicht mehr. Alle Versuche des Bauern und seiner Freunde, das Fahrzeug zu reparieren, mißlangen. Schließlich rang sich der Bauer doch durch, einen Fachmann herbeiholen zu lassen. Dieser schaute sich den Traktor an, betätigte den Anlasser, hob die Motorhaube an und beobachtete alles ganz genau. Schließlich nahm er einen Hammer.
Mit einem einzigen Hammerschlag an einer bestimmten Stelle des Motors machte er ihn wieder funktionsfähig. Der Motor tuckerte, als wäre er nie kaputt gewesen.
Als der Fachmann dem Bauern die Rechnung gab, war dieser erstaunt und fragte ärgerlich: „Was, du willst 50 Tuman, wo du nur einen Hammerschlag getan hast!“ „Lieber Freund“, sagte da der Fachmann, „für den Hammerschlag berechnete ich nur einen Tuman. 49 Tuman aber muß ich für mein Wissen verlangen, wo dieser Schlag zu erfolgen hatte.“
(aus: Nossrat Peseschkian, Der nackte Kaiser, Pattloch, 1997)
Wirklichkeit
In einer Fußgängerzone steht ein Mann und klatscht alle 10 Sekunden in die Hände. Als ein Passant ihn fragt, was er denn tue, antwortet er: „Ich vertreibe die wilden Elefanten“.
Erstaunt entgegnet der Passant: „Aber hier sind doch gar keine Elefanten.“ Worauf der klatschende Mann zufrieden lächelt und feststellt: „Sehen Sie, das Klatschen wirkt!“.
Paul Watzlawick
Zuschreiben
Das Volk der Lakota in New Mexico hat einen jungen Tut-nicht-gut. Er wurde gesehen, wie er Autos und Lastwagen auf dem Parkplatz beschädigte. Befragte man ihn darüber, wurde er ausfällig und abweisend gegenüber Erwachsenen.
Nun wird der ganze Clan an einem Abend zusammengerufen und formt einen großen Kreis. Der Vater des Jungen schreitet mit ihm in die Mitte des Kreises und schließt sich dann wieder den anderen Erwachsenen an. Dann beginnt der Vater als erster zu sprechen. „Du bist unser Erstgeborener, unser Meistgeliebter. Deine Mutter und ich haben uns gefreut, als wir das erste Mal deine Bewegungen im Mutterleib spürten. Wir rannten von Haus zu haus und erzählten den Leuten, daß du am Leben warst, gesund und stark warst. Und so bist du auch gewesen. Während der Geburt hast du einen so lauten Schrei ausgestoßen, daß man ihn trotz laufendem Radio dreihundert Meter weit gehört hat. Wie waren wir stolz! Wie waren wir glücklich! Du hast uns immer glücklich gemacht. Deine ersten Schritte – oh, wie du in die Pfütze gefallen bist. Der Ausdruck auf deinem Gesicht! Wie haben wir gelacht….“ Und der Vater erzählt immer weiter die schönsten Erinnerungen aus dem Leben seines Sohnes.
Kein Wort der Kritik wird geäußert. Die Aufgabe des Vaters besteht darin, den jungen Mann daran zu erinnern, was er seiner Familie, seinem Clan, seinem Volk bedeutet; ihn zu erinnern an all die Freude und das Glück, das er verbreitete; an die Freude, die seine große Familie an ihm hat. Als der Vater fertig ist, fährt der Onkel weiter. Darauf folgen die beiden Großväter. Der Himmel wird dunkler, die Sterne sind klar zu sehen. Es wird lange nach Mitternacht sein, wenn alle ihre Geschichten erzählt haben werden. Nach den Männern sprechen die Frauen in freundlichen Worten und weichem Tonfall; die meiste Arbeit ist auf sie gefallen, von den ersten Wehen bis zum Sparen für seine Schulbücher. Zum Schluß redet der Häuptling. Er fasst all das bisher gesagte zusammen. Er spricht langsam, mit langen Pausen, wie wenn er den besten Weg für die Erzählung suchen würde. Sein Thema, von dem er nie abweicht, ist das gleiche: der Stolz und die Freude, welcher dieser junge Mann dem Volk der Lakota gebracht hat; den Lebenden, den Verstorbenen und den noch nicht geborenen.
Wie alle früheren Sprecher erwähnt er nie den Vandalismus und die böswilligen Zerstörungen, die Schande, den Ärger, die Sinnlosigkeit, die Gedankenlosigkeit. All das bleibt ungesagt und wird auch nicht angedeutet. Alle Aussagen drehen sich um das gleiche, nämlich darum, daß dieser junge Mann ein wunderbares Geschenk für alle Leute ist, eines von unschätzbarem Wert.
Nachdem der alte Mann seine Rede beendet hat, gibt er ein klares Zeichen. Der Kreis der Leute steht still, und alle schauen mit großer Aufmerksamkeit auf den jungen Mann in der Mitte des Kreises. Dann verschwinden sie wortlos in der Dunkelheit der Nacht.
Quelle: Locating the Energy for Change. An Introduction to Appreciative Inquiry, Charles Eliott, International Institute for Soustainable Development, Winnipeg, Maitoba (Canada) ISBN 1-895536-15-4